Die zu Anfang des letzten Jahrhunderts begonnene Ausgabe Sämtlicher Schriften und Briefe von Gottfried Wilhelm Leibniz (Akademie-Ausgabe) vermittelt bereits durch ihre Gliederung in acht Reihen im äußeren Erscheinungsbild einen Eindruck von der Vielfältigkeit des in ihr edierten und der Forschung zur Verfügung gestellten Materials. Von den acht Reihen ist allerdings eine noch nicht richtig begonnen worden, die gleich zwei Aspekten des universalen Geistes gewidmet ist, die Reihe V mit Leibniz’ Historischen und sprachwissenschaftlichen Schriften. Nun soll diese letzte Lücke geschlossen werden.
Im Mittelpunkt der Reihe V wird Leibniz’ Opus historicum stehen. Mit einer Geschichte des Welfenhauses beauftragt, hatte Leibniz begonnen, ein großangelegtes Werk zu erarbeiten, das mit der Erdgeschichte einsetzen und über die schriftlose Frühzeit der Menschheit zum Mittelalter bis in seine Gegenwart reichen sollte. Dieses Opus historicum ist unvollendet geblieben. Lediglich einzelne seiner Teile und begleitende Arbeiten sind zu Lebzeiten und vor allem postum erschienen. Die sehr umfangreichen, in drei Jahrzehnten entstandenen Vorarbeiten sind dagegen fast ausnahmslos noch ungedruckt. Dabei handelt es sich um Marginalien, Exzerpte (auch seiner Mitarbeiter), Entwürfe und Notizen unterschiedlichster Art, darunter allein ungefähr 4.000 Zettel. Dieses Arbeitsmaterial eröffnet einmalige Einblicke in die Praxis frühneuzeitlicher Gelehrsamkeit.
Die Bearbeitung der neuen Reihe ist in den wichtigsten Punkten durch die Prinzipien der Akademie-Ausgabe vorgegeben. Dennoch ist sie mit neuen Herausforderungen konfrontiert: Wie kann neben der klassischen Druckausgabe dieses Arbeitsmaterial in einer Hybrid-Edition parallel digital so zur Verfügung gestellt werden, dass auch seine Materialität sowie Aufschreibepraktiken sichtbar werden? Wie kann man es so anordnen, dass die Konzeption des Opus historicum jedenfalls in Umrissen erkennbar wird? Wie ist mit den Anteilen von Leibniz’ Mitarbeitern umzugehen? Wie kann eine digitale Edition des Arbeitsmaterials aussehen, die den NutzerInnen ein eigenständiges Arrangement etwa der Zettel erlaubt und damit themenspezifische systematische Zugriffe? Wie vermeidet man, dass jene Texte, die nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Opus historicum stehen, in Gefahr geraten, übersehen oder marginalisiert zu werden?
Diese und ähnliche Fragen sollen auf dem Workshop vorgestellt, diskutiert und – unter Berücksichtigung der neueren digitalen Anforderungen und Möglichkeiten – sollen Vorschläge zu ihrer Lösung entwickelt werden.
Wir bitten um Anmeldung bei luckscheiter@bbaw.de
Veranstalter:
Leibniz-Edition Potsdam der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften
Sonderforschungsbereich 980 "Episteme in Bewegung. Wissenstransfer von der Alten Welt bis in die Frühe Neuzeit", Freie Universität Berlin
EXC2020 „Temporal Communities – Doing Literature in a Global Perspective”, Freie Universität Berlin
Gottfried Wilhelm Leibniz Gesellschaft e.V.
Programm:
4. Oktober, 13:00-17:30 Uhr
Begrüßung: Anne Eusterschulte und Wenchao Li
Vortrag und Impulsreferate:
Stephan Waldhoff: Vom "Opus historicum" zu den "Historischen und sprachwissenschaftlichen Schriften"
Stefano Gensini: Leibniz als Sprachwissenschaftler und Sprachphilosoph: Kriterien für eine repräsentative Auswahl seiner Interessen auf diesem Gebiet
Thomas Wallnig: Umrisse digitaler Nutzungsszenarien von Reihe V der Akademie-Ausgabe
18:00 Uhr: Öffentlicher Abendvortrag:
Bernd Roling: Leibniz' Erben in Hannover: Johann Heinrich Jung und das Ende der Grafen von Bentheim
20:00 Uhr: Abendessen
5. Oktober, 10:00-12:30 Uhr
Vortrag und Impulsreferate:
Stefan Luckscheiter: Aus der Zettelsammlung in die historisch-kritischen Edition
Holden Kelm: Ein Thesaurus für die Ästhetikvorlesungen von Friedrich Schleiermacher
Christoph Binkelmann: Schellings Weltalternotizen im Kontext
12:30-14:00 Uhr: Mittagspause
14:00-17:30 Uhr
Impulsreferate:
Philipp Hegel: Ideen zur semantischen Erschließung in digitalen Editionen
Fabian Etling: Erschließung und Wiedergabe materieller Aspekte der Werkgenese im Kontext von Hybrid-Editionen
Christoph Valentin: Wie lässt sich der digitalisierte Leibniz-Nachlass adäquat präsentieren? - Usability, Metadaten, Schnittstellen
Ort:
Freie Universität Berlin
Villa des SFB 980
Schwendener Str. 8
14195 Berlin